Lieder in zwei Teilbänden (Teilband 1: Noten; Teilband 2: Kritischer Bericht)
Spanische Liebeslieder op. 138, Titelblatt der Ausgabe mit Begleitung zu zwei Händen, Robert-Schumann-Haus Zwickau, Archiv-Nr.: 4501,25–D1/A4
Band 9: Spanisches Liederspiel. Ein Cyclus von Gesängen aus dem Spanischen
für eine und mehrere Singstimmen (Sopran, Alt, Tenor und Baß) mit Begleitung des Pianoforte op. 74; Spanische Liebeslieder. Ein Cyclus von Gesängen aus dem Spanischen
für eine und mehrere Stimmen (Sopran, Alt, Tenor und Bariton) mit Begleitung des Pianoforte zu vier Händen op. 138; Spanische Liebeslieder. Ein Cyclus von Gesängen aus dem Spanischen
für eine u. mehrere Stimmen (Sopran, Alt, Tenor und Bariton) mit Begleitung des Pianofort op. 138; Zwölf Gedichte aus F. Rückert’s Liebesfrühling für Gesang und Pianoforte von Robert und Clara Schumann op. 37/12;
Minnespiel aus F. Rückert’s Liebesfrühling für eine und mehrere Singstimmen (Sopran, Alt, Tenor und Baß) mit Begleitung des Pianoforte op. 101;
Bei Schenkung eines Flügels. Die Orange und Myrthe hier für vier Solostimmen und Klavier Anh. M15; herausgegeben von Thomas Synofzik
Aus der Einleitung:
Als in der Form etwas Originelles bezeichnete Robert Schumann sein 1849 komponiertes Spanisches Liederspiel op. 74 auf Übersetzungen aus dem Spanischen von Emanuel Geibel (Brief an Carl Reinecke, siehe RSA VI/9,2, S. 7). Die Gattung des von Schumann selbst in Werken wie der Dichterliebe op. 48 maßgeblich geprägten Liederzyklus ist hier zu einer dramatischen Form erweitert: In inhaltlich aufeinander bezogenen Gedichten dialogisieren mehrere Sänger in Sololiedern, Duetten und Quartetten. Schon in seinem ersten Opus mit Geibel-Vertonungen hatte Schumann 1840 ein Duett, ein Terzett und ein zwischen Chor- und Solostimmen unterscheidendes Quartett kombiniert. Doch diese unter der gemeinsamen Opuszahl 29 veröffentlichten Stücke waren so disparat, daß die Originalausgabe nicht als geschlossener Band, sondern nur in Einzelausgaben erschienen. Einen weiteren Schritt in Richtung eines latent szenisch-dramatischen Gesangszyklus ging Robert Schumann in den gemeinschaftlich mit seiner Frau Clara 1841 komponierten Zwölf Gedichten aus F. Rückert’s Liebesfrühling – in seiner Werkzählung op. 37, in ihrer op. 12, beide Zählungen sind auf dem Originaltitel übereinandergestellt vermerkt –, in denen neun Sololieder und drei Duette kombiniert erscheinen. Obwohl die Stimmlage der Sololieder in allen überlieferten Quellen unspezifisch bleibt, bietet sich eine dialogisch wechselnde Besetzung mit Sopran und Tenor in Entsprechung zu den jeweils von Clara und von Robert Schumann komponierten Liedern an.
Noch zwei weitere Male erprobte Robert Schumann 1849 die im Opus 74 neu entwickelte Form des Liederspiels: zunächst im Minnespiel op. 101, das nicht nur zum zweitenmal Rückerts Liebesfrühling als Textfundus für einen Liederzyklus nutzt, sondern auch zwei der bereits 1841 vertonten Gedichte in neuer kompositorischer Gestalt präsentiert. Für Forschung und Praxis bieten diese Doppelvertonungen interessante Studienbeispiele für Schumanns gewandelte Haltung gegenüber Textvertonungen innerhalb eines Zeitraums von weniger als einem Jahrzehnt.
Schließlich entstand Ende 1849 noch ein weiteres Liederspiel, auf Übersetzungen aus dem Spanischen von Emanuel Geibel. Die bereits bei den beiden vorigen Liederspielen von Schumann selbst hervorgehobene Bestimmung für das häusliche Musizieren wird hier durch die Eigenheit einer vierhändigen Klavierbegleitung unterstrichen, galt doch gerade diese Form des Klavierduetts als genuin private Spielpraxis. Dennoch war eine vierhändige Begleitung von Gesangsmusik ungewöhnlich, und sie beeinträchtigte, in Verbindung mit der erst postum erfolgten Publikation, die Rezeption der Spanischen Liebeslieder op. 138 wesentlich. Das zeigt sich nicht zuletzt darin, daß das Werk bisher noch nie als Partiturausgabe erschienen ist: Sowohl die Erstausgabe wie die Alte Gesamtausgabe (AGA) veröffentlichten das Werk, indem Primo- und Secondo-Part auf jeweils gegenüberliegenden Seiten nebeneinandergestellt wurden, in den mehrstimmigen Gesängen werden auch die Singstimmen aus diesem Grund auf einzelne Seiten verteilt. Erstaunlicherweise blieb eine von Schumann selbst erstellte und als gleichrangig angesehene Fassung mit zweihändiger Begleitung trotz ihrer Publikation im Jahre 1861 schon im 19. Jahrhundert geradezu unbekannt, denn mehrere Verlage gaben zweihändige Arrangements der vierhändigen Originalfassung in Auftrag. Auch in der AGA fand die zweihändige Originalfassung keine Aufnahme. Sie wird im vorliegenden Band erstmals wieder zugänglich gemacht.
Zu allen Zyklen des vorliegenden Bandes können bisher unbekannte Fragmente und Frühfassungen vorgelegt werden: so zu den Zwölf Gedichten aus F. Rückerts Liebesfrühling ein unbeachtetes, ursprünglich für diesen Zyklus bestimmtes Kanonfragment Robert Schumanns, das zum Keim des späteren Klavierkonzerts op. 54 werden sollte, sowie die Frühfassung der vier von Clara Schumann für den Zyklus komponierten Lieder. Dem Text des Kanonfragments Ich bin dein Baum, o Gärtner wandte sich Schumann 1849 für sein Minnespiel op. 101 erneut zu, ohne dabei jedoch auf die alte Skizze zurückzugreifen. Abgesehen von der später veröffentlichten Version bietet Schumanns Arbeitsmanuskript den Anfang einer verworfenen Vertonung, die sich ebenfalls als eigenständig erweist.
Als Urfassung der späteren Spanischen Liebeslieder op. 138 plante Schumann zeitweilig die Publikation einer Gruppe von Drei Spanischen Liedern – es handelt sich um Sololieder, die in zeitlichem Zusammenhang mit dem ersten Spanischen Liederspiel komponiert worden sind und die später in umgearbeiteten Fassungen in die zweite Sammlung der Spanischen Liebeslieder integriert wurden. Eines davon ist in der Frühfassung in der reizvollen Begleitung von Pianoforte und Gitarre konzipiert.
Schließlich bietet der vorliegende Band eine weitere einzelne Quartettkomposition mit Klavierbegleitung: die für den 34. Geburtstag Clara Schumanns am 13. September 1853 entstandene Gelegenheitskomposition Bei Schenkung eines Flügels. Die Orange und Myrthe hier Anh. M15.
Da das Opus 74 den gattungsgeschichtlichen Ausgangspunkt bildet und es entstehungsgeschichtlich mit den Spanischen Liebesliedern op. 138 eng verzahnt und nicht sinnvoll zu trennen ist, stehen diese Werke am Anfang des Bandes. Es folgen die beiden aufgrund der teils identischen Textvorlagen ebenfalls zusammenhängenden Rückert-Zyklen und zum Schluß die Gelegenheitskomposition aus dem Jahr 1853.
Schon gleich nach Veröffentlichung der Erstausgaben etablierten sich Schumanns Quartettkompositionen mit Klavierbegleitung (mit Ausnahme der Gelegenheitskomposition Anh. M15) auch in chorischer Besetzung im Repertoire für gemischte Chöre. Dies wurde von Schumann zwar nicht ausdrücklich autorisiert, aber auch nicht explizit ausgeschlossen. Die Einteilung der RSA in Chorwerke einerseits und Lieder und Gesänge für Solostimmen andererseits ist bei dem hier vorgelegten Werkbereich (ebenso wie bei den auch oder ausschließlich für Solostimmen bestimmten A-cappella-‚Chor‘werken) als nur formaler Systematisierungsbehelf zu sehen. Zwei in den Spanischen Liebesliedern enthaltene Solostücke für Klavier zu vier Händen sind ebenso wie die Lieder, deren Einzelpublikation Robert Schumann bei seinen Verlagsangeboten autorisierte, auch außerhalb des zyklischen Zusammenhangs aufführbar und stellen eine Ergänzung zu dem in RSA III/2 vorgelegten Repertoire dar – sogar die vom Komponisten selbst erstellten zweihändigen Arrangements wurden in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts vom Verlag Rieter-Biedermann als Einzelausgaben vertrieben, sind inzwischen aber aus dem Repertoire verschwunden.
In direkter Rezeption der von Schumann begründeten Gattung des Liederspiels – in einem Brief vom 26. August 1851 an Bertha Voigt sprach Clara Schumann auch von dem Musikalischen Märchen Der Rose Pilgerfahrt op. 112 als einem neuen Liederspiel; durch die spätere Orchestrierung dieses Werks wird dieser gattungsgeschichtliche Zusammenhang leicht übersehen – entstanden ähnlich geartete Kompositionen von Heinrich Hofmann (Minnespiel op. 42), George Henschel (Serbisches Liederspiel op. 32) und vor allem die beiden Sammlungen mit Liebeslieder-Walzern op. 52 und op. 65 von Johannes Brahms, die ebenfalls in das chorische Repertoire Eingang fanden. Auch Hugo Wolfs Sololiedsammlung des Spanischen Liederbuchs (1891) kann das Vorbild Schumanns nicht verleugnen und vertont mehrere der schon von Schumann verwendeten Übertragungen Geibels. Diese halten sich eng an die metrischen Gegebenheiten seiner Textvorlagen, die hier ebenfalls mitgeteilt werden. Auch wenn Schumann – anders als in seinen Andersen-Liedern op. 40/1– 4 – keine zweisprachige Textunterlegung vornahm, sondern sich lediglich auf die Mitteilung der spanischen bzw. portugiesischen Originaltitel beschränkte, ist so eine Adaption von Schumanns Vertonung auf die originalsprachigen Texte grundsätzlich möglich.
Die Quellenlage zu den in diesem Band vorgelegten Werken ist ungewöhnlich gut. Zu allen Kompositionen konnten neben den Original- bzw. Erstausgaben mindestens zwei autographe oder teilautographe Quellen herangezogen werden. Die damit in Form von Skizzen, Entwürfen, Arbeitsmanuskripten und Stichvorlagen weitgehend offenliegende Textgenese erlaubt Einblicke in den Weg zum publizierten Text von hoher editorischer Relevanz. Obwohl zu keinem der edierten Werke Korrekturabzüge erhalten sind, liefert die Analyse von Plattenkorrekturspuren bei den beiden Liederspielen op. 74 und op. 101 wichtige editorische Entscheidungshilfen.
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