Andante con Variazioni op. 46 Anhang, Adagio und Allegro op. 70, Fantasiestücke op. 73, Drei Romanzen op. 94, Fünf Stücke im Volkston op. 102, Märchenbilder op. 113, Märchenerzählungen op. 132, Fünf Romanzen Anhang E7 (vernichtet). Herausgegeben von Michael Beiche, Tirza Cremer, Armin Koch, Elisa Novara, Ute Scholz und Matthias Wendt (= RSA II, 3)
Der Band enthält neben der zu Lebzeiten Schumanns unpubliziert gebliebenen Kammermusikfassung seines op. 46 sechs Kammermusikwerke mit höchst unterschiedlicher Besetzung, jedoch stets mit Klavier. Ihnen ist gemein, daß sie sich nur schwer bzw. gar nicht einer traditionellen kammermusikalischen Gattung, sei es Sonate, Trio oder Quartett zuordnen lassen. Schumann selbst betont diese Sonderstellung jener Werke durch die Titelgebung, die teils hyperkonkret anmutend genau die einzelnen Sätze bezeichnet: Adagio und Allegro op. 70, oder gar eine „Gattung“ suggeriert, wenn auch überaus vage: Fantasiestücke op. 73 oder Stücke im Volkston op. 102 in Anlehnung an die Gattung Lieder im Volkston – jeweils als Pseudogattung entlarvt durch den wenig griffigen Zusatz „Stücke“. Die Romanzen für Oboe op. 94 (bzw. für Violoncello Anhang E7, von Clara Schumann vernichtet) vermögen als einzige, so etwas wie Gattungsanspruch zu erheben. Sie entsprechen allerdings im Falle von Schumanns Oboenromanzen nicht einer einfachen Liedform, über die vernichteten Celloromanzen ist inhaltlich/formal nichts bekannt.
Mit den Mährchenbildern bzw. –erzählungen op. 113 und 132 schließlich scheint Schumann sich einem Zeitgeistphänomen – wenn auch einem Nischenprodukt – zu nähern. Durch die Überzeugungskraft seines eigenen Werkes hebt er diese Kleingattung aus ihrer Verhaftung im reinen Klavierrepertoire heraus. Vor Schumanns 1852 erschienenen Mährchenbildern op. 113 existierten mit einer einzigen Ausnahme Werke mit ähnlicher Titelgebung nur für Klavier solo (die Ausnahme ist obendrein nur Arrangement eines früher entstandenen, reinen Klavierstücks) – erst von 1856 an werden als Märchen bezeichnete Stücke anderer Komponisten für Klavier und andere Instrumente veröffentlicht.
Im Band sind demnach zwischen 1843 und 1853 entstandene Kammermusikwerke mit Teilnahme des Klaviers (in einem Fall sogar zweier Klaviere) versammelt, die – anders als die tradierten Gattungen wie Violinsonate, Klaviertrio, ‑quartett, ‑quintett – formal nicht dem Sonatenprinzip folgen und die besetzungsmäßig für ein oder maximal zwei Melodieinstrumente (ausgenommen Violine!) und Klavier geschrieben sind. Selbst aus diesen teilweise für die damalige Zeit noch ungewöhnlichen Besetzungen sticht allerdings die von op. 46 Anhang heraus. Bemerkenswert ist, daß bei jedem Werk Alternativinstrumente angegeben sind (jedesmal zumindest auch Violine).
Auch hier ist op. 46 Anhang die Ausnahme, denn dessen Alternativbesetzung für zwei Klaviere solo ist in letzter Entscheidung Schumanns zur gültigen Besetzung geworden, die ursprünglich intendierte für zwei Klaviere, zwei Violoncelli und Horn aber zur von ihm nicht publizierten Alternative. Dies ist insofern eine wesentliche Besonderheit, als Schumann selbst die Alternativen als Notlösung, als nur dem verlegerischen Kalkül geopferte Zugeständnisse begreift, wie er in einem etwas schroffen Antwortbrief auf einen Vorschlag des Verlags Simrock, die alternativen Besetzungen mit eigenem Titel zu publizieren, schreibt (siehe S. 274 des Bandes):
Wenn ich originaliter für Violine oder Clarinette componirt hätte, würde es wohl etwas ganz anderes geworden sein. Es thut mir sehr leid, Ihrem Wunsche nicht nachkommen zu können; aber ich kann nicht anders.